Etwa zur gleichen Zeit, da die Liederbücher entstanden, hatte ich eine ungleich größere Aktion geplant.
Die war gut vorbereitet und gelangte – teilweise – auch zu einem Erfolg.
Ziel war, in „meinen“ dreizehn Pfarreien mittels kleiner Heftchen und Einsatz unserer Gruppen zusammen mit den Cäcilienvereinen, eine Anzahl der z.T. neuen Kirchenlieder gleichzeitig bekannt zu machen.
Daneben sollte unseren Jugendgruppen von dem Verkaufserlös frisches finanzielles Blut zugeführt werden.
(Bis dahin hatte ich schon mal begüterte Pfarrangehörige unter Druck gesetzt, mir handkolorierte Linoldrucke für sündhaft billiges Geld abzunehmen, um zumindest unsere Pfarrgruppen vor schlimmster Armut zu bewahren. Heft Nr.1 mit acht Marienliedern, zweifarbig mit Noten handgeschrieben ließ ich mehrtausendfach drucken. Natürlich ohne die gesetzlich vorgeschriebene Papier-, Druck- und Vertriebsgenehmigung. Die Erlaubnis zum Abdruck der Lieder holte ich beim Christophorus-Verlag erst nachträglich ein…)
Dann kam ein Komplott zur Ausführung. Wir brauchten den Segen der höheren Klerisei.
Auf Betreiben von Vikar Christian Holtgreve – Dekanatspräses der Kath. Jugend und Freund – wurde ich zur Dekanatskonferenz der Herren Seelsorger eingeladen. Dort sollte ich meine Pläne unterbreiten, und das tat ich auch.
Nach Schluß meiner Darlegungen und ehe noch die zu erwartenden Bedenken und Einwände von Seiten der Hochw. Herren höheren Alters angebracht werden konnten, nahm planmäßig Holtgreve das Wort. Sofort nach Beendigung seiner Erklärung schlugen noch zwei weitere „Verschwörer“ in die gleiche Kerbe, mein Vorhaben befürwortend.
Zum Schluß wurde ich beauftragt, die schon längst vorliegenden Heftchen drucken zu lassen.
(Das Risiko des Druckers war nicht gering und muß hier erwähnt werden.)
Die Liedheftchen wurden in den Pfarreien abgesetzt und brachten abzüglich der Unkosten – Druck, Klischees – etwas Mammon in die Gruppenkassen.

Dann wurde, wie es der Plan vorsah, mit Unterstützung einiger Cäcilienvereine – andere Vereine versagten – und der Jungengruppen ein Lied nach dem anderen in den Kirchen eingeübt.
Wäre Adolfs Partei etwas frommer gewesen, das Singen wäre uns wohl vergangen..
Leider erstarb dann die wunderschöne Aktion aus mir unbekannten Gründen mit Heft 1 …

In dieser Zeit auch besuchte ich Anton Reimann, dessen Fotokarten von uns sehr geschätzt wurden. Reimann litt sehr unter den Zeitverhältnissen und erwog, mit seiner Familie ins Ausland zu gehen. Er sorgte sich um seine Kinder, die er nicht den Nationalsozialisten ausliefern wollte.
Ich riet bezüglich der Auswanderung ab, weil ich der Meinung war, wir dürften nicht das Feld räumen, und müßten versuchen, ohne Abstriche an unserer Haltung die Zeit durchzustehen. Wir dürften uns nicht in ein Schneckenhaus zurückziehen – im Ausland oder hier.

Nicht in ein Schneckenhaus zurückziehen wollten sich meine Jungen.
Die wollten „mit wehenden Fahnen“ untergehend, auf der großstädtischen Gelsenkirchener Bahnhofstrasse einen kleinen Demonstrationszug veranstalten. Ich hatte Mühe, ihnen klar zu machen, daß unser Fähnlein der sieben Aufrechten stracks das Polizeirevier erreichen und dann gottweißwo enden würde. Auch, daß es mehr einbrächte, wenn wir in unserer Arbeit und Weise weitermachten.

Einige jüngere Gruppenkinder – so Hannes Rittenbruch und mein jüngster Bruder Joachim – haben dann später, als ich schon mich am Wolschov herumtrieb, doch noch demonstriert: Sie praktizierten Stinkbomben unter die HJ-Heimtüre und erschreckten die braunen Jungs mit Knallkörpern..

aus: Heribert Reul sen. – Jahre, die ich erlebte. Bd I, 1987, „Ein Sonderunternehmen“, S. 45f.