Nie, nicht vordem und nicht nachher waren mein Bruder Günther und ich so brav und so fromm wie an jenem 13. Mai 1920. Es war ein Glücksfall, daß ein Foto die knapp 24 Stunden anhaltende Vollkommenheit für die europäische Kulturgeschichte dokumentierte. Gelsenkirchener Tanten, zuständig für die feinere Lebensart und durch Führung eines auch führenden Damenhut-, sprich Putzgeschäftes bestens darauf vorbereitet, statteten uns aus. Mit allem, was dazugehörte und es gehörte gar vieles dazu..
Schwarzer Samtanzug, ebenso schwarze Lackschuhe, lange schwarze Strümpfe unter den ebenfalls düstren kurzen Hosen und eine Abart schwarzer Matrosenmütze mit noch schwärzeren Bändern. Dann aber: Weißes Hemd mit umgeschlagenen gekräuserten Kragen, weiße Handschuhe, weißes Wachssträußchen an der Jacke, ledereingebundenes mit Goldschnitt aufgewürdigtes Gebetbuch und – wahrscheinlich – handgeschriebenem Namen des noch Vertrauen genießenden jeweiligen Besitzers.

Günther und Heribert Reul, 1920